„Wann wieder ist der Kindergarten?“ – täglich fragt Dunja*. Seit einigen Wochen steigt die Kindergartenanfängerin jeden Morgen stolz in den Bus ein, der sie und andere Kinder in die Einrichtung bringt. 3 Tage vor ihrem 3. Geburtstag und diesem Start war Dunja das zweite Mal bei der Entwicklungskontrolle in der NLA.

Dunja gehört zu anderen fast 200 AChild-Kindern, die innerhalb von 2 Jahren in die Studie aufgenommen worden. Die meisten waren das erste Mal dabei, manche haben es schon zwei Mal geschafft. Im Vorfeld wurden viele für EKIE gefilmt und haben das LENA-Gerät getragen, ihre Eltern haben auf mindestens 300 Fragen (und das zwei Mal!) schriftlich geantwortet. Alles parallel zu Therapien oder Beratungen, die die Kinder von Interventionistinnen bekommen.

Wir haben vier Eltern gefragt, wie es ihnen dabei geht.

„Dachte, es nimmt kein Ende“

Zwischen ein bis drei Stunden benötigen die Eltern jedes Mal für die Fragebögen zur sprachlichen und psychosozialen Entwicklung ihres Kindes. „Das zweite Mal habe ich es leichter und schneller geschafft, es waren auch viele gleichen Fragen, die ich sofort beantworten konnte“, trotzdem hat Diana Vagapanova, Mutter von Dunja, einige Abende bei den Fragebögen verbracht.

„Man muss sich gut konzentrieren. Es war gut zu merken, welche Wörter meine 3-jährige Tochter schon sagen kann, welche sie nur versteht. Das war mir vorher nicht so bewusst“, sagt Agnes Maurer aus OÖ.

Für die befragten Eltern war es hilfreich, die Fragebögen mindestens 2 Wochen vor der Untersuchung zu bekommen und sie mit der begleitenden Therapeutin abzusprechen. Alle haben die Fragebögen alleine ohne ihre Partner:innen ausgefüllt. Drei Mütter und ein Vater sind länger in Karenz geblieben, was ihnen geholfen hat, das Kind genauer zu beobachten und seinen Wortschatz einzuschätzen.

„Alle zwei Tage kommen neue Wörter dazu – welche Menge ist das mit der Zeit!“ sagt Patrick Gric, Vater vom 3-jährigen Noah aus NÖ. Manche schwierigeren Fragen hat er bei der Untersuchung mit dem Linguisten Peter Holzinger abgeklärt. Zum Beispiel, was L1 und L2 bedeutet war ihm vorher nicht bewusst.

Diana kennt diese „geheimen“ Buchstaben: Zu Hause leben sie in zwei bis drei Sprachen (Tschetschenisch und Russisch, dazu Deutsch) und „L“ steht für Sprache. Ihre Therapeutin hat sie gleich darauf aufmerksam gemacht. „Meine Tochter fragt oft auf Tschetschenisch, welches Wort was auf Deutsch bedeutet. Wenn ich antworte, wiederholt sie und so lernt sie auch Deutsch“, sagt Diana aus Linz.

„Manchmal habe ich mich gefragt – darf ich schon ankreuzen, obwohl es das Kind noch nicht richtig ausspricht?“ sagt Kathrin Schwendinger, Mutter der 3-jährigen Hilda. Sie hat beschlossen, dazu ihre Kommentare zu schreiben. Das kann zwar in der allgemein anonymen Auswertung der Daten nicht berücksichtigt werden, liefert aber den Untersucher:innen viele Informationen übers Kind. „Sehr umfangreich wird gefragt. Manchmal dachte ich, es nimmt kein Ende“, lacht sie. Die Oberösterreicherin schätzt besonders den allgemeinen Überblick. „Alles übers Kind in der Familie, auch die Verwandtschaft fühlt sich miteinbezogen“. Ihre Familie, die viel Unterstützung und Halt gibt, ist sehr interessiert, was die Therapeutin sagt, was bei Hilda neu ist und sie gehört zum Umfeld des Kindes dazu.

Beim Filmen spielen wie immer

EKIE – Eltern-Kind Interaktionsentwicklung – ist eine Methode, bei der die Eltern zehn Minuten beim Spielen mit ihrem Kind gefilmt werden. Das Ergebnis wird nach bestimmten Kriterien ausgewertet. Nicht alle Eltern stimmen zu. Aber wenn sie das schaffen, sind sie sehr stolz und zufrieden. „Das Video habe ich instinktiv mitgemacht – gespielt wie immer“, sagt Kathrin. Sie spielt viel und oft mit ihrer Tochter, obwohl die Kleine jetzt beginnt sich mehr alleine zu beschäftigen. „Es wurde jede Sekunde, jede Minute ausgewertet, was ich gut mache, was weniger gut“ – die Rückmeldung hat Kathrin sehr bestärkt.

Die wieder beruflich tätige Agnes versucht immer noch Zeit zu finden fürs Malen, Basteln oder Lego Spielen mit ihrer Tochter. „Beim Filmen hat sich Marlene gefreut, dass Mama mit ihr spielt“.

Patrick versteht, dass die Filmaufnahme für manche Eltern ungewöhnlich ist, will sie aber dazu ermutigen. „Du spielst einfach mit deinem Kind wie sonst auch, mit vorgegebenen Spielsachen. In meiner Ausbildung zum Krankenpfleger haben wir viel gefilmt, danach wurden die Videos vor der ganzen Klasse präsentiert und gemeinsam analysiert. Das hilft zu lernen. Dazu – davon profitiert ja das Kind!“

Sich mit LENA befreunden

Den Mädchennamen tragendes LENA Gerät bedeutet aus dem Englischen übersetzt Sprachumgebungsanalyse (Language ENvironment Analysis). Es wird allgemein in der ganzen Welt für alle Kinder verwendet, nicht nur für Kinder mit Hörbeeinträchtigung. Ein kleines Gerät, das in eine Hand passt, wird in eine kleine Tasche auf dem T-Shirt getragen.

„Die Anleitung auf dem A4-Zettel war sehr gut beschrieben“, erinnert sich Patrick an die ersten Schritte mit LENA. Als die Therapeutin das Gerät gezeigt hat, hat Noah gleich das T-Shirt ausprobiert. „Dann hat er es mal am Wochenende angezogen und problemlos getragen“. Patrick ist der Meinung, dass das Tragen von LENA unter der Woche wenig Sinn macht, da der Alltag im Kindergarten mit dem Lärmpegel zu hoch ist. Bei der Auswertung hat ihn eine Frage beschäftigt: „Wie differenziert das Gerät die Stimme der anderen Kinder?“ In der Familie wachsen 3 ähnlich alte Brüder mit relativ ähnlichen Stimmen auf. Zu dieser Frage werden wir extra berichten.

Wenn zu Hause mehrere Kinder sind, kommt auch eine weitere Herausforderung hinzu – alle wollen das Gerät antasten. Alle Geschwister von Dunja beispielsweise wollten wissen, was genau ihre Schwester da hat. „Für mich war die Verantwortung zu groß, dass nichts mit dem Gerät passiert. Auch Dunja war noch zu klein um selbst das Gerät in Ruhe zu lassen. Es war den ganzen Tag nicht leicht“, erzählt Diana ihre Sorgen und gleichzeitig bestätigt sie, dass die Methode hilfreich ist. Sie würde gerne nochmal mit LENA probieren – vielleicht klappt es dieses Mal besser.

Familie Schwendinger hat an dem Tag einen Kaffee-Besuch bei der Tante geplant. Hingehen oder nicht, dachte sich die Mutter. Es soll ja möglichst ein gewöhnlicher Tag sein. Doch sie haben sich dafür entschieden und waren froh: Anfangs wurde natürlich viel über das T-Shirt gefragt und gesprochen, dann aber von allen vergessen. „Viel direkte Gespräche wurden vorgemerkt, aber auch wenn alle miteinander reden, – das passt gut. Wir haben Tipps gekriegt, was wir mehr machen können, was weniger oder anders. Ich fühle mich bestätigt“, sagt Kathrin.

Entwicklungskontrolle – Stress und Erleichterung

Es ist wohl möglich und normal, dass manche Eltern nach dieser Vorbereitung sehr angespannt sind, bevor sie den 3. Stock im Krankenhaus Barmherzige Brüder Linz erreichen. Hier werden sie von Linguist:innen, Ärzt:innen, Audiolog:innen erwartet. „Ich war nervös. Ich dachte, wird meine Tochter schlechter als sie ist“, erzählt Diana. Letztes Mal hat Dunja die Untersucher:innen nur beobachtet ohne viel mitzuwirken.

Dieses Mal war es ganz anders – das Mädchen war offen und neugierig. „Als ich mit der Ärztin und dem Linguisten gesprochen habe, habe ich mich erleichtert gefühlt. Wie rücksichtsvoll haben sie erklärt, sich mit dem Kind unterhalten, mit mir gesprochen!“ Für Diana sind die 3 Stunden in der NLA nicht zu lange – mit dem gesamten Prozedere ist sie sehr zufrieden. „Nur in diesem Krankenhaus und nur mit diesen Fachpersonen sind solche Untersuchungen durchzuführen“, sagt Diana.

Dank ihrer Therapeutin hat Kathrin genau gewusst, was in der NLA passiert. „Die Ärzte sind sehr freundlich und Hilda war entspannt. Sie hat viel bei Dr. Holzinger mitgemacht, besonders wenn Bilder gezeigt wurden“. War ein Prüfungsgefühl zu spüren? „Doch, aber ich fühlte mich nicht unter Druck gesetzt“, sagt Kathrin. „Natürlich ist das aber leicht zu sagen, weil meine Tochter gut entwickelt ist. Wir wollen alle ja einen positiven Befund“.

Das bestätigt Agnes. „Für Marlene war es als ob sie nur spielen mit ihr. Und das Ergebnis ist sehr erfreulich!“ Auch der Hörtest war sehr hilfreich für die CI-Einstellungen am nächsten Tag.

Corona bedingt konnten manche Termine nicht in den Abständen eingehalten werden wie geplant, aber letztendlich hat alles laut Patrick „super funktioniert“. Noah fährt immer freudig mit dem Auto, er mag die Linz-Besuche gerne. „Wir haben einen genauen Überblick, wo das Kind noch wachsen soll, wo ist es gerade gleich wie alle. Das ist keine Prüfung, sondern ein unterstützendes Instrument“, sagt Patrick über die Diagnostik und Entwicklungskontrollen der NLA. „Von unseren 3 Kinder sind beide älteren sprachbegabt, mit 17 Monaten hat Liam schon Lieder gesungen. So dachten wir, dass Noahs Sprache zu langsam kommt, aber bei der Entwicklungskontrolle wurde bestätigt – er entwickelt sich sehr gut. Wir freuen uns auf nächsten Termin“.

Motivation und Mitmachen

Was würden Eltern den anderen Eltern raten? „Mitmachen“ – sind sich alle einig. „Zeit fürs Kind nehmen, soweit es möglich ist“, fasst Kathrin zusammen und zeigt Verständnis für andere Familien. „Ich habe leicht reden, weil ich 2 Jahre in Karenz bin und ein Kind habe. Jemand, der 5 Kinder hat, wird nicht so viel Zeit haben. Trotzdem: versuchen im Alltag einzubauen, Spielzeuge zu benennen, zu wiederholen, zu besprechen, wohin das Kind deutet“.

Wieviel Geduld mit 5 Kinder gefragt ist, weiß Diana ganz genau. Sie kann auch gut vergleichen, wie sich Dunja und andere Kinder entwickeln. „Ich habe schon gemerkt, dass sie jetzt mehr spricht, ist aktiver, sogar geschickter als meine anderen Kinder. Sie denkt zuerst, beobachtet, dann redet oder spielt sie erst. Ich denke, solche Kinder (mit Hörbeeinträchtigung) sind durch Therapien strukturierter, sie sind länger aufmerksam. Das hilft ihnen.“ Ihr Rat: alles tun, was die Fachleute sagen. „Ich glaube, so werden auch die Eltern ruhiger, selbstischerer. Besonders die Mütter. Väter sind bei sich, aber die Mütter tragen alles, was Kind betrifft, im Kopf, im Herzen“.

„Ich fühle mich gut aufgehoben beim Flip“, sagt Kathrin über das Gesamte. „Was zurückkommt, ist wertvoll. Ich kann auch in 20 Jahren meiner Hilda zeigen, wie wir alles gemeistert haben und wie schön es war.“

Daiva Müllegger

*Auf Wunsch der Mutter wurde der Name geändert

©Fotos Barmherzige Brüder Linz

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